Mittwoch, 4. Juni 2025

Der Wendekreis-Verlag

Hans Loubier unterscheidet in seinem, vor drei Jahren erschienenen Werk über die "Neue deutsche Buchkunst" vier Perioden. Die erste, 1895 anhebend, bezeichnet er als die illustrativ-dekorative, die zweite, 1900 beginnend, ist die der neuen Schriftkünstler, die dritte knüpft an die Zopf- und Biedermeierzeit an, die vierte wirft die mühsam gefundenen Regeln von einer künstlerischen Übereinstimmung zwischen Satz und Bild wieder leichtfertig über Bord. In dieser Periode leben wir noch, aber wenn sie sicher noch lange nicht ihrem Ende sich nähert, so mehren sich doch schon die Anzeichen dafür, daß auch sie nur eine Übergangszeit ist.
Ein jüngeres Unternehmen, der von Dr. Herbert Sachse in Berlin gegründete Wendekreis-Verlag, bemüht sich sichtlich, der Kluft zwischen dem gedruckten Text und den graphischen Beilagen im illustrierten Buch Brücken der Einigung zu bauen. Das ist natürlich nicht ganz leicht, aber es kann gelingen, wenn man durch die Wahl der Type und des Typengrads und das Arrangement des Satzbilds den Zwiespalt zu mildern sucht. Beim ersten Druck des Wendekreis-Verlags, Goethes "Moralische Erzählung" (aus den Erzählungen deutscher Auswanderer), ist darauf noch zu wenig Rücksicht genommen worden. Man hat als Type natürlich eine Antiqua gewählt, aber sie hätte im Duktus etwas kräftiger sein müssen, um die äußerliche Harmonie mit den vier, an sich sehr reizvollen Radierungen Edmund Schaefers stärker zu betonen. Ungleich besser gelungen ist in dieser Beziehung Hauffs Geschichte vom kleinen Muck, bei der der Schöpfer der Illustrationen, Arnold Schott, Satzbild und Druck selbst angeordnet und überwacht hat. Der Künstler bestimmte also auch die Form des Textsatzes. Die acht Radierungen in der leichten Beweglichkeit ihrer Linien sprühen vor Humor wie das liebenswürdige Märchen - der Illustrator stellt sich hier nicht vor den Dichter, sondern umfaßt sein Werk mit der Gestaltungskraft seiner Kunst. Daß die Bilder als Beilagen mit leerer Rückseite eingeschaltet sind, muß man schon mit in den Kauf nehmen. Die Reproduktion der Blätter (durch O. Felsing-Charlottenburg auf der Pan-Presse) ist übrigens ausgezeichnet, auch der Textdruck (Gebr. Mann-Berlin) vortrefflich. Der Titel ist schlicht in Schwarzdruck gesetzt, den Text hat Schott noch mit zwei frei und fein komponierten handgemalten Initialen in Ziegelrot, Blaßrot und Blau geschmückt. Einband Ganzpergament mit Vignette auf dem Vorderdeckel und Rückentitel in Gold.
Drei andere Werke des Verlags sind Holzschnittbücher. Daß der Holzschnitt sich dem Textdruck am wirksamsten anpaßt, zeigt sich auch hier. Zu Andersens Märlein von des Kaisers neuen Kleidern wählte man die Breitkopf-Fraktur, die sich von den sonst üblichen barocken Verschnörkelungen glücklich freihält, eine der hübschesten unter den deutschen Druckschriften, und stellte sie zu einem absatzlosen Seitenbild zusammen. Dazu hat Michel Ell eine kräftige Anfangsinitiale und fünf von Laune und Übermuth strotzende, prachtvoll derbe Holzschnitte entworfen und selbst geschnitten. Es ist ein Büchelchen, an dem man eine ehrliche Freude haben kann.
Anspruchsvoller treten die beiden letzten Werke auf, deren Bildschmuck Hans Orlowski übernommen hat, meines Erachtens ein ganz genialer Buchkünstler, der zumal im Holzschnitt Hervorragendes leistet. Für "Amiran", eine georgische Sage, zeichnet er zunächst die Schrift des Titelblatts, im Aufbau der Buchstaben und ihrer Ausgestaltung im einzelnen gewissermaßen ein Hinweis auf den Inhalt des Buchs, auf diese tolle Reckengeschichte, deren klassische Wildheit, gemischt mit einem leichtironischen Unterton, auch in dem Altmeisterstil der Holzschnitte zum Ausdruck kommt. Die Struktur des Papiers gestattet die Fortführung des Textes auf der Rückseite der Bilder, für den Druck (Presse der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg) nahm man eine großzügige Fraktur und ermöglichte durch die Ausscheidung von Absätzen wieder ein prächtig geschlossenes Seitenbild.
Uneingeschränktes Lob kann man dem "Jüngsten Gericht" zollen. Es ist ein Blockbuch, Seite für Seite in Holzschnitten und doppelseitig gedruckt (technisch vortrefflich durch die Charlottenburger Kunstgewerbeschule). Das Großquartformat erlaubte Orlowski die Verwendung einer ungemein starken, bildlich wirkenden Schrift, dem Gotisch des 14. Jahrhunderts sich nähernd und fast Seite für Seite durch große farbige Initialen belebt. Farbentöne fließen auch hie und da von den Initialen aus in die Satzreihen - es ist also im Grunde genommen eine Schriftmalerei, und diese malerischen Effekte unterstützen den Ausdruck des Inhalts mit antreibender Kraft, wie das beim gewöhnlichen Buchdruck unmöglich sein würde. Es ist kein "Lesebuch" schlichthin, kein typographisches Werk, über dessen Textseiten das Auge flott hinweggleiten kann; es steht ähnlich so wie die gestochenen Bücher und die handgeschriebenen der Doris Homann in einem ganz bewußten Gegensatz zu den typographischen. Jedes Seitenbild ist einen Komposition für sich und will als solche betrachtet werden. Auf der zweiten Seite beispielsweise füllt die figürliche Initiale D fast den ganzen Raum; es bleiben nur noch die Textreihen: "Dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit." Es ist ein Gemälde mit Unterschrift. Aber in dem Gemälde, in der von singenden Engelsköpfen umgebenen, zum Jüngsten Gericht aufrufenden Erscheinung des Heilands, wird der Text zu lebendiger Sprache, zur Verkörperung eines grandiosen Gedankens. Sechs ganzseitige Bilder in Holzschnitt führen die Illustrierung des Inhalts weiter. Sie sind nicht handkoloriert wie der Initialschmuck, ihre Wirkung steht auf dem kraftvollen Schwarz-weiß der streng und herb durchgeführten Zeichnung, der wuchtigen Bestimmtheit der Linien, dem künstlerischen Ausdrucksvermögen, mit dem ein volkstümliches Verständnis den Stoff gemeistert hat.
Die Bücher des Wendekreis-Verlags sind durchweg nur in kleiner Auflage hergestellt (das letztgenannte in hundert Stücken) und von den ausführenden Künstlern handsigniert. F. v. Z.
Aus: Zeitschrift für Bücherfreunde. N.S. 17.1925. März-April