Berlinisches Gymnasium zum grauen Kloster
Ostern 1904
Jahresbericht [1903/04]
III. Chronik des Gymnasiums
1. Schulfeierlichkeiten und andere Veranstaltungen
Am 19. Juni nahm eine grössere Anzahl unserer Primaner und Sekundaner an einem von vielen höheren Lehranstalten veranstalteten Wett-Barlaufspiel teil.
Der 2. September, der Gedenktag des Sieges von Sedan, wurde durch Ausfall der Schule und Schülerausflüge gefeiert.
Am 2. November wurde das Märkische Reformationsfest durch eine Schulfeier begangen, bei der Herr Professor Dr. Tiedke die Festrede hielt. Die vom Magistrat übersandte Denkmünze erhielt der Oberprimaner Fritz Kersten.
Am 27. Januar 1904 wurde der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert, wobei der Herr Professor Dr. Kinzel die Festrede hielt.
2. Veränderungen im Lehrerkollegium
Veränderungen im Kollegium der angestellten Lehrer sind im verflossenen Schuljahre nicht vorgekommen.
Dagegen haben wir den Tod eines Mannes zu beklagen gehabt, der auch nachdem er im Jahre 1898 aus unserem Kreise geschieden war, stets durch die Bande der innigsten Liebe mit uns verbunden geblieben war. Der Königliche Musikdirektor und ausserordentliche Professor an der hiesigen Universität, Dr. Heinrich Bellermann, erlag am 10. April 1903 seinen schweren Leiden. Über seinen Lebensgang und die unvergesslichen Verdienste, die er sich in mehr als 45jähriger Tätigkeit als Leiter des Gesangunterrichts am grauen Kloster erworben hat, habe ich in dem Jahresbericht von 1899 ausführlich berichtet. Er lebte seit seinem Rücktritt in Potsdam und genoss trotz seiner körperlichen Schwäche seine Ruhe mit Behaglichkeit und Heiterkeit, in der liebevollen und unermüdlichen Pflege seiner Gattin. Um Weihnachten 1902 verschlimmerte sich sein Zustand durch einen Schlaganfall und die Kräfte nahmen stetig ab, bis ihn ein sanfter und schmerzloser Tod erlöste. - Am 14. April fand unter allgemeiner Teilnahme der Lehrer und Schüler des Gymnasiums seine Beerdigung statt nach einer Trauerfeier in der Aula, bei der der Prediger an St. Marien, Herr Professor Scholz, die Gedächtnisrede hielt. Einige Wochen später, am 3. Mai, veranstaltete der Akademische Gesangverein, dessen Gründer und langjähriger Leiter der Verstorbene gewesen war, ebenfalls eine Gedächtnisfeier in unserem Saale, bei der eine grössere Anzahl der Kompositionen Bellermanns in vorzüglicher Ausführung vorgetragen wurde und der Herr Professor Dr. Schneider aus Küstrin ein lebensvolles Bild von seinem Wirken und Schaffen entwarf in einem Vortrage, der seitdem, durch ein vortreffliches Bild des Entschlafenen geschmückt, durch den Druck auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht worden ist. - Endlich wurde sein Gedächtnis noch einmal lebhaft wachgerufen durch eine Gesangaufführung unserer ersten Gesangklasse unter der Leitung seines Nachfolgers Herrn Langelütje, am 2. Oktober. Die Feier bestand ausschliesslich in der Vorführung zahlreicher Kompositionen des Verstorbenen, die mit ihren ernsten und fröhlichen Klängen uns seine Eigenart wieder vergegenwärtigten und in vielen Zuhörern die Erinnerung an die Zeiten zurückriefen, "als wir noch mit ihm sahen sich röten den Tag, schimmern die Nacht".
Da zu Ostern 1903 eine vierte Prima errichtet werden musste, so übernahm der wissenschaftliche Hilfslehrer Herr Paul Guderian eine grössere Anzahl der dadurch vermehrten Unterrichtsstunden. Zu Michaelis 1908 traten die Herren Johannes Theel und Dr. Johannes Kunze zur Ableistung ihres pädagogischen Probejahres an unsere Anstalt.
Der regelmässige Unterricht wurde bei Herrn Professor Kränzlin dadurch unterbrochen, dass er von Ostern bis Johannis 1903 von den vorgesetzten Behörden Urlaub erhielt und einen mehrmonatlichen Aufenthalt in Frankreich und England nahm zum Zwecke wissenschaftlicher Studien auf dem Gebiete der Botanik. Sein Unterricht wurde teils von Herrn Guderian, teils von Herrn Johannes Theel vertreten.
Drei liebe Schüler haben wir durch den Tod verloren:
1. Otto Süsskow, Sohn des hiesigen Magistratsbeamten Herrn Süsskow, seit Michaelis 1986 auf unserer Anstalt, zuletzt in Obersekunda, ein treuer und gewissenhafter Schüler, wurde im 19. Lebensjahre durch einen traurigen Unglücksfall hingerafft: er war seit dem 9. März 1903 vermisst worden und wurde später unweit Schildhorn in der Havel als Leiche aufgefunden.
2. Maximilian Goerlich, Sohn des Schriftstellers und Redakteurs Herrn Goerlich, Schüler der Untertertia, ein lieber und hoffnungsvoller Schüler, starb am 29. Oktober 1903 in dem blühenden Alter von 14 Jahren an den Folgen einer Bauchfellentzündung.
3. Werner Baron, Sohn des hiesigen Rechtsanwalts Herrn Baron, ebenfalls in Untertertia, ein überaus begabter und liebenswürdiger Knabe von noch nicht 13 Jahren, starb am 10. Januar 1904 an einer Blinddarmentzündung. - Wir haben in allen Fällen an dem tiefen Schmerz der gebeugten Eltern den innigsten Anteil genommen.
V. Sammlung von Lehrmitteln
Der Geheime Oberpostrat Herr Professor Dr. Karl Strecker schenkte ein vorzüglich ausgeführtes Exemplar der Hermesbüste des Praxiteles nebst Postamentsäule. Das schöne Kunstwerk hat in einer Prima Aufstellung gefunden.
Ausserdem erhielten wir im Laufe des verflossenen Schuljahres noch folgende Zuwendungen von ehemaligen Schülern der Anstalt:
1. Ein früherer Schüler des Gymnasiums (der nicht genannt sein will), langjähriges und eifriges Mitglied unserer Gesangklasse, schrieb mir am 15. April 1903: "Um das Andenken an den verstorbenen Professor Dr. H. Bellermann wachzuhalten, stelle ich dem grauen Kloster jährlich 30 M. zur Verfügung mit der Bestimmung, dass dafür zu Ostern jedes Jahres einem oder mehreren Mitgliedern der ersten Singeklasse eine Gesangprämie mit der Bezeichnung "Heinrich-Bellermann-Prämie" überreicht werde."
2. Herr Otto Retslag in Magdeburg, Schüler des Klosters 1856-1862, schenkte am 13. August 1903 1.000 M. zur Unterstützung unbemittelter Schüler.
3. Der Geheime Archivrat Herr Dr. L. Gollmert, Schüler des Klosters 1841-1847, überwies im Oktober 1903 dem Gymnasium die Summe von 20.000 M. mit der Bestimmung, dass die Zinsen dieses Kapitals dazu verwendet werden, unbemittelte Schüler der Anstalt in jeder Weise und ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses und des Geburtsortes zu unterstützen.
Das graue Kloster darf es mit Freude und Stolz empfinden, dass die seit Jahrhunderten bewährte treue und tatkräftige Anhänglichkeit seiner ehemaligen Schüler sich auch heute noch in so edlen und pietätvollen Stiftungen betätigt. Ich spreche den hochherzigen Gebern im Namen des Gymnasiums auch an dieser Stelle den herzlichsten und aufrichtigsten Dank aus.
[Zum Schluss:]
... auch das Schulgeld für das nächste Vierteljahr mit 35 Mark zu entrichten.
Dr. Ludwig Bellermann,
Direktor