Berlinisches Gymnasium zum grauen Kloster
Ostern 1905
Jahresbericht [1904/05]
II. Verfügungen der vorgesetzten Behörden
Verfügung des Provinzial-Schulkollegiums vom 17. Mai 1904. Die Behörde teilt mit, dass der Herr Minister in einem Erlasse seiner Befriedigung darüber Ausdruck gegeben hat, dass die Direktoren der hiesigen höheren Lehranstalten es sich angelegen sein lassen, die Beurlaubungen von Schülern vor und nach den Ferien auf Grund sorgfältiger Prüfung der in Frage kommenden einzelnen Fälle immer mehr zu beschränken. Das Königliche Schulkollegium schliesst sich dieser Anerkennung an und spricht die Erwartung aus, dass auch in Zukunft alle geeigneten Mittel angewendet werden, um diesem Missbrauch immer mehr zu steuern; insbesondere sind die Eltern der Schüler durch entsprechenden frühzeitigen Hinweis auf die Nachteile aufmerksam zu machen, die ihren Söhnen aus solcher Schulversäumnis erwachsen müssen.
III. Chronik des Gymnasiums
1. Schulfeierlichkeiten
Das wichtigste Ereignis im äusseren Leben des Gymnasiums war
die Vollendung der Neubauten und Umbauten,
die seit einer Reihe von Jahren auf unseren bedeutend erweiterten Grundstücken ausgeführt wurden. Am 11. Mai fand der feierliche Abschluss dieser Bauperiode und die Übergabe der neuen Baulichkeiten an die Städtische Behörde statt. Es hatte sich zu dieser Feier, die in der festlich geschmückten Aula von den Lehrern und Schülern der Anstalt begangen wurde, auf meine ehrerbietige Einladung die Vertreter des hohen Ministeriums und des Königlichen Provinzial-Schulkollegiums sowie des Magistrats von Berlin, unseres Patrons, und der Stadtverordnetenversammlung eingefunden, ebenso die Direktoren vieler anderer Berliner Anstalten und eine grosse Anzahl ehemaliger Schüler des grauen Klosters. Nachdem der Schulchor unter der Leitung des Gesanglehrers Herrn Langelütje Grells "Te deum laudamus" gesungen hatte, sprach der unterzeichnete Direktor in seiner Rede den Dank der Schule gegen die Behörden wie gegen die Wohltäter aus und gab einen geschichtlichen Überblick über die äussere Entwickelung der Anstalt. Es folgten alsdann Ansprachen des Königlichen Provinzialschulrates Herrn Professor Lambeck, des Wirklichen Geheimen Oberregierungsrates Herrn Gruhl und des Stadtschulrates Herrn Dr. Michaelis. Der Gesang aus Haydns Schöpfung "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" beschloss die Feier. Unsere verehrten Gäste nahmen alsdann die neuen Bauten in Augenschein, insbesondere die Bibliotheksräume, den Zeichensaal, die Chemieklasse sowie die neuhergestellten Klosterhallen, in denen sie von der Gesangsklasse mit dem frischen Klange fröhlicher Frühlings- und Sängerfahrtslieder begrüsst wurden.
Die Rede des Direktors, die der Bedeutung dieses Abschnittes in der Geschichte des Klosters gewidmet ist, möge hier eine Stelle finden:
Hochverehrte Festversammlung!
Es gereicht mir zur ganz besonderen Ehre und Freude, so viele hochangesehene Männer, insbesondere die Vertreter unserer hohen Königlichen und Städtischen Behörden, dazu eine so grosse Zahl bewährter Freunde des grauen Klosters hier im Namen des Gymnasiums begrüssen zu dürfen. Sie ehren uns durch ihr Erscheinen und geben dem heutigen Tage dadurch eine besondere und festliche Weihe.
Die Veranlassung dieser Feier lenkt von selbst unseren Blick in die Vergangenheit des Klosters zurück. Seine räumliche Entwickelung, die durch die letzten Erwerbungen und Bauten einen Abschluss erhält, hat sich gewissermassen in einem Kreislauf bewegt: von der geräumigen Fläche, die ursprünglich die Mönche hier besassen, wurde bei der Gründung des Gymnasiums nicht viel mehr als ein Dritteil dem Zwecke der Schule gewidmet; in mehreren Stufen erhielt sie dann im Laufe der Jahrhunderte terriorialen Zuwachs, aber niemals ausserhalb der Grenzen des alten Klosters, und auch die letzten Erwerbungen haben nur uralten Kloster-Grund und Boden wiedergewonnen, sodass unsere Anstalt jetzt wieder genau die Fläche bedeckt, die vor 633 Jahren den grauen Brüdern des Franziskanerordens zur Gründung ihrer Stätte geschenkt wurden.
Die Geschichte des grauen Klosters berührt sich in ihren Anfängen aufs engste mit der Geschichte der Stadt Berlin. Zu den allerfrühesten Nachrichten, die uns aus der Mitte des 13. Jahrhunderts über die neuentstandene Stadt aufgehalten sind, gehört auch die über eine Niederlassung von Mitgliedern des Franziskanerordens, und kaum ein Menschenalter nach der ersten urkundlichen Nennung unserer Stadt geschah die Schenkung, durch die die Geschichte des grauen Klosters für immer an diese Scholle befestigt wurde. Es war im Jahre 1271, als die Markgrafen Otto und Albrecht den Mönchen einen Strich Landes zur Anlage ihres Klosters schenkten, einen Flächenraum von etwas über 100m Länge und 75-80m Tiefe. Hier haben die grauen Brüder im Laufe von drei Jahrhunderten gehaust und sich wohnlich eingerichtet, indem sie eine Reihe von Gebäuden aufführten.
Sie müssen gute Baumeister gehabt haben, tüchtig und kunstverständig; denn die Bauten, die wir noch von ihnen haben, loben ihren Meister, wenn auch keine Chronik die Namen aufbewahrt hat. So vor allem das erste Werk, das sie gleich im Anfang ihrer neuen Ansiedelung hier aufführten; die Klosterkirche, das älteste Baudenkmal unser Stadt, das um 1290 vollendet wurde; sein schönster Teil, der hohe Chor, scheint einer etwas jüngeren Zeit anzugehören, dafür spricht die freiere und leichtere Konstruktion der schön gegliederten Fenster, die nach dem Urteile der Fachmänner etwa auf ein halbes Jahrhundert später hinweist, und überhaupt die wesentlich reichere Ausführung, die eine grössere Wohlhabenheit der Bauenden voraussetzt, während die übrigen Teile bei lebhaftem Kunstgefühl doch offenbar mit grosser Sparsamkeit gebaut sind. Von denkwürdiger Bedeutung sind auch die vielen geschichtlichen Denkmäler, die die Kirche umschliesst, die Gräber zahlreicher fürstlicher und adliger Personen. Von ihnen sei hier nur eines genannt, weil es an ein geschichtlich wichtiges Ereignis anknüpft: es ist ein altes Bild, den gegeisselten Heiland darstellend, vor dem ein junger Ritter mit schwarzem Gewand und weissem Mantel kniet; von der fast verloschenen Umschrift ist noch zu lesen: "Johannes von Hohenlohe, dem Gott genade 1412". Dazu bemerkt ein alter Geschichtsschreiber des Klosters: "Es haben nämlich anno 1412 die Quitzows ein Bündnis gemacht mit den Herzogen von Stettin wider Burggraf Friedrich zu Nürnberg, damals Statthalter in der Mark Brandenburg, und haben soviel zu Wege gebracht, dass die Herzoge am 24. Tage Oktobris wider den Burggrafen Friedrich gezogen und auf dem Damm zu Cremmen ernstlich gestritten haben. Da dann u. a. Graf Johannes von Hohenlohe umgekommen und zu Berlin im grauen Kloster begraben worden."
Die Kirche bildete den Mittelpunkt, um den sich die übrigen Klostergebäude gruppierten, Wohnräume, Zellen der Mönche, ein Beichthaus, Versammlungs- und Speisesaal, Wirtschaftsräume, Gärten und Kreuzgänge. Von diesen Herrlichkeiten sind nur noch zwei, als Zeugen der alten Zeit, vorhanden: erstens das Haus, durch dessen Hallen und Gewölbe mit ihren starken massiven Säulen wir so eben hier eingetreten sind, das in seinem unteren Teil den Speisesaal, das Refektorium enthielt, in dem oberen Stockwerke den Kapitelsaal für feierliche Zusammenkünfte, jetzt unser Gesangsaal; gebaut ist das Haus, wie die Inschrift auf einer der Säulen ausdrücklich angibt, 1471, also genau 200 Jahre nach Gründung des Klosters; auch dieser Bau zeugt durch seine reinen und edlen Formen ebensowohl von feinem Kunstsinn als von einer gewissen Wohlhabenheit: die grauen Brüder haben offenbar die zweite Jahrhundertfeier ihrer Gründung benutzt, sich diese reicheren und stattlicheren Räume zu bauen, und ihr Baumeister hat seine Sache gut ausgeführt; er hiess Bernardus, wie eine Säuleninschrift besagt. Das zweite ist eine freie Halle, ohne Säulen, ein reichgegliedertes Sterngewölbe, das untere Stockwerk unseres Schulhauses, gebaut 1516, also nur ein einziges Jahr, ehe Luthers mächtiges Wort das Mönchtum und Klostertum gewaltig erschütterte und dadurch auch der Wirksamkeit der Franziskaner hier bald ein Ende bereitete.
Trotzdem ging noch über ein halbes Jahrhundert hin, ehe die Klosterräume einem anderen Zwecke überwiesen werden konnten. Erst nach Joachims I. Tode wurde die Reformation öffentlich eingeführt und ein Jahr darauf 1540 das Kloster als solches aufgehoben. Aber man verfuhr menschenfreundlich und gestattete den vorhandenen Klosterbrüdern ruhig und ungestört auszusterben. So blieben sie denn, mit jedem Jahre weniger werdend, noch ein Menschenalter hindurch in ihrem Besitze, bis endlich der letzt, der Bruder Peter, dem es nach dem allmählichen Hinscheiden aller seiner Genossen wohl zuletzt recht einsam in diesen Gärten und Hallen gewesen sein mag, endlich ebenfalls sein Auge schloss und "gar ehrlich zur Erde bestattet wurde", im Jahre 1571, genau 300 Jahre nach der Gründung. Da nun um diese Zeit die Schulverhältnisse in Berlin überaus mangelhaft waren, wie insbesondere eine vom Kurfürsten angeordnete Kirchen- und Schulvisitation ergab, so benutzte der Rat der Stadt, insbesondere der damalige Bürgermeister Herr Tempelhof, die Gelegenheit, den Kurfürsten Johann Georg um Überlassung eines Teiles der Klosterräume zur Gründung einer Schule anzugehen. Namhafte Teile hatte der Kurfürst freilich schon anderweit vergeben: das grosse Haus, das sich auf der Seite des Lagerhauses von der Klosterstrasse bis zur Neuen Friedrichstrasse erstreckte und den Namen "Langhaus" führte (also der Raum, auf dem jetzt unsere beiden älteren Schulhäuser stehen, und innerhalb dessen wir uns auch hier in diesem Saale befinden), hatte er dem berühmten Leonhard Thurneysser überwiesen, der daselbst mit seinen Laboratorien, Werkstätten und Druckereien hauste. Das schöne Kapitelhaus wollte er, wie es hiess, zu einem Hospitale einrichten, und das grosse Gebäude an der anderen Seite der Kirche, Klosterstrasse 73, hatte er bereits seit einer Reihe von Jahren von den Klosterräumen abgetrennt und in die Hände verschiedener Besitzer gelangen lassen.
So blieb nur der mittlere Teil, an Flächenraum ja noch ziemlich reichlich; aber da einen bedeutenden Teil davon die Kirche selbst nebst dem Kirchhofe bedeckte, so war der Platz für die Schulräume und Wohnungen des Rektors und einiger Lehrer sehr eingeschränkt. Indes die Schwierigkeiten wurden überwunden, die Visitatoren, die die Räume zu diesem Zwecke untersuchten, berichteten an den Kurfürsten, dass "das Kloster ein luftiger, gesunder und bequemer Ort sei", und die Schüler sich nirgends besser befinden könnten. Die beiden obersten Räte des Kurfürsten, der Kanzler Distelmeyer und der Lehenssekretär Steinbrecher befürworteten das Gesuch dringend, und so wurde die Schule am Margarethentage, d. h. am 13. Juli 1574 zunächst mit vier Klassen eröffnet, denen bald noch zwei hinzugefügt wurden. Der Kurfürst erkannte die Gründung der Schule als ein "christliches und hochnötiges" Werk an, er sprach die Hoffnung aus, dass sie "ein solch fürnehm Gymnasium werden würde, daran dem ganzen Lande gelegen sei" und verordnete in der alten Urkunde: "Wir der Landesfürst vereignen und perpetuieren dem Rate unserer Stadt Berlin solche Kirche und Schule samt den zugehörigen Gebäuden, Kreuzgange und darein gelegenem Garten, Beichthause und Kirchhofe, ohne Jemands Einrede, zu gebrauchen".
Wie das Gymnasium in der Folge aufblühte, wie es die wechselnde Gunst und Ungunst der Zeiten ertrug, wie es sich in seiner inneren Entwickelung umgestaltete und erweiterte, das gehört heute hier nicht in den Rahmen unserer Betrachtung. Der ihm bei der Gründung zugewiesene Raum musste den steigenden Bedürfnissen fast zwei und ein halbes Jahrhundert genügen. Auch die Gebäude blieben zunächst unverändert, und bald trat durch den dreissigjährigen Krieg ein solcher Niedergang aller Verhältnisse ein, dass es schon als ein hochzupreisendes Glück betrachtet wurde, als z. B. im Jahre 1636 auf eifrigen Betrieb der beiden Bürgermeister der Stadt eine Ausbesserung und Abweissung der Schulgebäude zu stande kam, dergestalt, dass das Lehrerkollegium das Ereignis auf einer Denktafel mit einem feierlichen lateinischen Gedichte verewigte. Häufig begegnen uns dann bewegliche Klagen über die schlechte Beschaffenheit der Klassenzimmer und der Lehrerwohnungen; die Armut der Zeiten hinderte lange eine Abhilfe. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurde einmal eine gründliche Herstellung durchgesetzt, unter dem Rektor Weber, der ein namhafter Schulmann war und unter allen 35 Direktoren des Klosters am längsten das Rektorat geführt hat, volle 30 Jahre. Dankbar schreibt er darüber 1695 in seinem lateinischen Bericht: Der Patron der Stadt habe beschlossen, alle Gebäude des Gymnasiums, die Klassenzimmer, die Dächer, die Fussböden, alles herzustellen und ihm gleichsam ein neues Antlitz zu verleihen, insbesondere habe Herr Christen (novus consul, wie er sagt) die Sache zum Zeugnis seiner Gunst mit grossem Nachdruck betrieben. Der Unterricht musste freilich während mehrerer Monate in der Klosterkirche abgehalten werden, was gewiss grosse Schwierigkeiten mit sich brachte.
So wurden noch hier und da Erneuerungen vorgenommen, aber ein wirklich gründlicher Umbau kam erst 100 Jahre später unter dem Direktor Büsching zu stande. Dieser ausgezeichnete Schulmann, in vieler Hinsicht ein Reformator unserer Schule, fand nach seinem eigenen Bericht hier die Klassenzimmer in einer traurigsten Verfassung, sie lagen mehrere Fuss unter der Strassenhöhe, kellerartig, dunkel und ungesund. Dreimal hatte er sich an den König, Friedrich den Grossen, gewandt, alle dreimal war er abschlägig beschieden worden: der König halte dergleichen Neubauten für unnötig und könne kein Geld dafür bewilligen. Trotzdem setzte Büsching mit der ihm eigenen Tatkraft und Energie die Sache durch, mit Hilfe von privaten Sammlungen und unterstützt von der Streitschen Stiftung. So entstand 1786-88 eine Reihe zweckmässiger Bauten, von denen jedoch jetzt nur noch das frühere Direktor-Wohnhaus, Klosterstrasse 74, vorhanden ist.
In allen diesen Zeiten aber war der Grund und Boden des Gymnasiums, wie er 1574 geschenkt worden war, unverändert geblieben. Eine Erweiterung war dringend zu wünschen, denn weder die Lehrerwohnungen noch die enggedrängten Klassen hatten ausreichend Raum. Dieser Wunsch erfüllte sich, als 1819 König Friedrich Wilhelm III. den vorderen Teil des alten Langhauses nebst dem Kapitelsaal dem Gymnasium schenkte und einige Jahre darauf auch den hinteren Teil desselben Hauses nach der Neuen Friedrichstrasse zu. Nun hatten wir auf dieser Seite die ursprüngliche Grenze des alten Franziskanerklosters glücklich wieder erreicht, und auf diesem so wesentlich vergrösserten Grundstück konnten immerhin wirklich zweckentsprechende Schulräume hergestellt werden; aber es verging doch noch ziemlich viel Zeit, ehe alles wirklich ausgeführt und der vorhandene Grund und Boden zweckmässig ausgenutzt war. Das Einzelne will ich hier nicht ausführen: unser vorderes Schulhaus nebst der Aula, in der wir uns hier befinden, wurde 1832 vollendet (und dieser Saal sah, als er zum erstenmal feierlich benutzt wurde, unter den Abiturienten, die Direktor Köpke entliess, auch Otto von Bismarck), das hintere Schulhaus wurde 1848 gebaut. Die Lehrerwohnungen waren eine geraume Zeit hindurch an Zahl wesentlich verringert; erst 1859 erstand das Haus an der Neuen Friedrichstrasse, das 4 Lehrerwohnungen und die Streitsche Kommunität enthielt.
So war der Umfang und die Einteilung des Gymnasiums bis vor fünf Jahren. Damals, vor etwa 80 Jahren, bei der letzten erwähnten Erweiterung unseres Grundstückes hatte die Schule neun Klassen, jetzt sind es seit langem schon fünfzehn. Es ist nicht zu verwundern, dass der Raum nicht mehr reichen wollte. Die steigende Schülerzahl der oberen Klassen forderte dringend die Teilung der Prima und der Obersekunda, aber es war unmöglich, dafür Klassenräume zu schaffen. Der hintere Schulhof war zu eng, der Zeichensaal fast unbrauchbar, die Bibliothek unbequem und unübersichtlich, die Räume für den physikalischen Unterricht nebst Sammlungen unzureichend und manche andere notwendige Einrichtungen entsprachen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Eine Abhilfe war offenbar nur durch eine namhafte Erweiterung des Schulgrundstückes zu erreichen, diese aber schien bei den hohen Preisen des Grundes und Bodens in unserer Stadtgegend völlig ausgeschlossen zu sein. Wiederholentlich war schon der Gedanke ausgesprochen worden, man solle das Kloster verkaufen und für den Erlös ein neues grosses Grundstück in anderer Stadtgegend, an der Peripherie der Stadt erwerben. Ich war solchem Plane, im vollen Einverständnis mit dem Lehrerkollegium, stets bestimmt entgegengetreten, denn die mehr als dreihundertjährige Überlieferung, die uns an diese alten Räume knüpfte, hielt uns hier gewissermassen festgebannt. Gleichwohl sah ich keinen Ausweg. Da war es ein überaus glückliches Zusammentreffen, wodurch uns plötzlich die Mittel zu solchem Erwerb und Bau geboten wurden. Das Gymnasium besass seit 200 Jahren ein grosses Grundstück von über 30 Morgen Umfang, den sogenannten "Kommunitätsacker" nahe der Greifswalder Strasse. Dies Land, das bisher nur geringen Ertrag durch Verpachtung gebracht hatte, war jetzt in den Bebauungsplan der Stadt Berlin einbezogen worden, und sein Wert hatte sich dadurch ausserordentlich gesteigert. Schon 1880 waren mit dem Direktor Hofmann einmal Verhandlungen wegen Verkaufs gepflogen und die Summe von 300.000 Mark geboten worden; doch hatte sich die Sache damals zerschlagen, zu unserem guten Glücke, denn die jetzigen Verhandlungen, die 1898 wirklich zum Verkauf führten, brachten uns die Summe von anderthalb Millionen ein. Als ich die Anstalt im Besitz dieses bedeutenden Vermögens sah, war mein erster Gedanke, dass damit dem vorhandenen räumlichen Notstande abgeholfen werden könne. Es gelang bereits im folgenden Jahre 1899, das Nachbargrundstück Klosterstrasse 73 zu erwerben, und hiermit hatte unser Gymnasium auch auf der anderen Seite die ursprüngliche Grenze des Franziskanerklosters wieder erreicht; denn es war dies dasselbe Haus, welches damals der Kurfürst gleich nach Aufhebung des Mönchstums abtrennte, und das damals in fremden Besitz übergegangen war.
Nun konnten alle jene Bedürfnisse befriedigt werden. Freilich musste dazu eine ziemlich starke Umlegung der Räumlichkeiten stattfinden: zwei grosse Häuser mussten niedergelegt, zwei neue aufgebaut werden, das bisherige Direktorenhaus gründlich umgebaut, die bisherigen Bibliotheksräume in Klassen verwandelt werden. Und das alles sollte so geschehen, dass der Schulbetrieb darunter keinen Augenblick litt; denn die Schule (wie es weiland der treffliche Weber getan) so lange in der Klosterkirche abzuhalten, das wäre doch wohl heutzutage nicht mehr angegangen. Aber Dank der schnellen und kundigen Bauleitung gelang alles. Es wurde Licht und Luft geschaffen, der Hof in seinem Raum reichlich verdoppelt, helle, schöne, zweckmässige Räume wurden hergestellt und allen Bedürfnissen genügt. Zur besonderen Freude gereichte es mir auch, dass es möglich war, die beiden alten Hallen von ihren störenden Einbauten zu befreien, denn sie waren übel entstellt und zum Teil zu unwürdigen Zwecken benutzt. Jetzt stehen sie in ihrer alten architektonischen Gestalt, einfach wiederhergestellt, da und knüpfen so gleichsam die Gegenwart wieder an die Vergangenheit an.
Zu den genannten Bauten gesellt sich endlich als eine wertvolle Ergänzung die Turnhalle, die unser Grundstück nach der Neuen Friedrichstrasse abschliesst und den einzigen Teil bildet, der ausserhalb des alten Mönchsgutes liegt. Denn dies reichte nur bis an die alte Stadtmauer, diese aber folgte dem Zuge der jetzigen Waisenstrasse, während die Flucht der Neuen Friedrichstrasse jenseits dieser Linie liegt. Hier wurde vor einigen Jahren ein kleines Nachbargrundstück erworben und aus städtischen Mitteln die Turnhalle aufgeführt, womit eine langgefühlte Lücke im Organismus der Anstalt ausgefüllt war.
[ausführliche Danksagungen in alle Richtungen]
Und nun, hochgeehrte Festversammlung, nachdem ich Ihren Blick so lange auf die Vergangenheit und auf die äussere Gestaltung unserer Schule gerichtet habe, gestatten Sie mir noch ein kurzes Schlusswort. Unsere höheren Lehranstalten haben die Aufgabe, die deutsche Jugend so vorzubereiten, dass sie dereinst tüchtige Männer werden in der Wissenschaft wie im Leben; wir wollen ihren Verstand bilden, ihren Geist erheben, ihren Charakter festigen, wollen sie zu selbstlosem Pflichteifer, zu Vaterlandsliebe und echter Gottesfurcht erziehen. Wohl ist dem Gymnasium, dem humanistischen Gymnasium, oftmals der Vorwurf gemacht worden, und er ist auch jetzt noch nicht verstummt, dass es seine Schüler zu fernab führe vom wirklichen Leben, sie in ein ideales Reich banne, aus dem der Jüngling schwer den Weg in die Welt der Gegenwart finde.
Aber solchen Vorwurf weisen wir zum Teil zurück, zum Teil aber scheuen wir ihn nicht. Denn wir stehen ja soch mit der grössten Zahl unserer Gegenstände ohne Wanken auf dem Boden der modernen Welt: Vaterländische Dichtung und Geschichte, moderne Sprachen, Naturkunde und Physik und das Reich der Zahl und des Raumes in den mathematischen Wissenschaften, durch das alles lernt doch der Schüler bei uns, wie überall, die Entwickelung der Menschheit zur Gegenwart und die unveränderlichen Gesetze der Natur kennen. Aber wahr ist es andererseits: in einem namhaften Teil der Unterrichtsstunden, auch nach den neuen Lehrplänen ist es noch immer fast die Hälfte, versetzen wir unsere Schüler in jene versunkene Welt der Grösse und Schönheit, von der, wie wir meinen, noch immer lebendige Fäden in unsere Zeit reichen. Wir wollen, dass sie sich unter den ewig frischen und leuchtenden Gestalten des Homer und Sophokles heimisch fühlen, dass sie Platons Tiefe und Gedankenfeinheit, Demosthenes' stürmische Vaterlandsliebe, Tacitus' sittlichen Ernst und Horazens zierliche Eleganz samt seiner weltmännischen Lebensweisheit kennen und schätzen lernen, obgleich sie von allem diesem einen unmittelbaren Gebrauch im Leben nicht machen werden. Wir wollen durchaus nicht jedem unserer Schüler schon von seinem künftigen Beruf gleichsam ein kleines Stücklein vorweggeben, sondern wir vertrauen, dass wenn der Geist in wissenschaftlichem Denken geschult ist, ihm auch die Fähigkeit zur praktischen Anwendung nicht fehlen wird; und wir hoffen, dass, wenn ein Jüngling sich in diese ideale Welt versenkt hat, ihm davon ein Schimmer ins Leben folgen wird. - Wer die Zeichen unserer Zeit betrachtet, wird schwerlich zu dem Ergebnis kommen, dass sie im allgemeinen an allzugrossem Idealismus kranke; den gegenteiligen Vorwurf vernimmt man fast täglich: man klagt nicht mit Unrecht über die materielle Lebensauffassung, die die sinnlichen Güter höher schätzt als die geistigen und in der tollen Jagd nach dem Glücke den Genuss und das Wohlbefinden des eigenen Ich zum Massstab des Handelns nimmt. Gegen solche verderbliche Lebensansicht ein Gegengewicht zu geben, hält das Gymnasium für die köstlichste Mitgift. Wir wissen sehr wohl, dass solche reinigende und veredelnde Kraft jedem ernsten Versenken in einen grossen Gegenstand, vor allem in das Reich des Wahren und Schönen innewohnt, und sind sehr weit von der Überhebung entfernt, als ob unser Weg der allein richtige sei. Aber wir wollen den Born nicht zuschütten lassen, aus dem sich so viele Geschlechter solchen festen Halt, solch ideales Feuer der Gesinnung geschöpft haben.
Und damit glauben wir in dem Dienste der vorher bezeichneten Aufgaben unserer höheren Schulen ein wichtiges, ein unentbehrliches Glied zu bilden.
Zu so hohem Ziele wolle uns Gott, der die Kraft gibt und das Vollbringen, seine Hilfe leihen, indem wir mit dem alten Psalmisten fromm und demütig bekennen: "Wo der Herr nicht das Haus bauet, arbeiten vergebens, die daran bauen."
Am 22. Juni nahm eine grössere Anzahl unserer Primaner und Sekundaner an einem von vielen höheren Lehranstalten Berlins veranstalteten Wett-Barlaufspielen teil und errang dabei, wie im Jahre 1901 und 1902, als Siegespreis den 1896 vom Zentralausschuss für Volks- und Jugendspiele gestifteten "Bismarckschild", den jedesmal die siegreiche Anstalt bis zum Wettspiel des folgenden Jahres im Besitz behält.
Der 2. September, der Gedenktag des Sieges von Sedan, wurde durch Ausfall der Schule und Schülerausflüge gefeiert.
Am 18. Oktober wurde der Geburtstag weiland Kaiser Friedrichs, aus Anlass der Enthüllung seines Denkmals und der Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums, durch eine Schulfeier begangen, bei der der Direktor in einer Ansprache auf die Bedeutung des Tages hinwies.
Am 2. November wurde das Märkische Reformationsfest durch eine Schulfeier begangen, bei der Herr Professor Dr. Kränzlin die Festrede hielt. Die vom Magistrat übersandte Denkmünze erhielt der Oberprimaner Siegfried Mauermann.
Am 17. Dezember fand eine Musikaufführung unserer ersten Gesangklasse unter der Leitung des Herrn Langelütje statt, bei der eine reiche Auswahl von Gesangstücken von Palästrina, Grell, Löwe, H. Bellermann, Widmann u. a. und zum Schluss Zelters Johanna Sebus zur Ausführung kam. Dieselbe Vorstellung wurde am 14. Januar 1905 wiederholt.
Am 27. Januar 1905 wurde der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert, wobei der Herr Professor Fritzsche die Festrede hielt.
2. Veränderungen im Lehrerkollegium
Da bereits zu Ostern 1903 eine vierte Prima errichtet werden musste, sodass die Zahl der Gymnasialklassen auf 18 stieg, war eine Vermehrung der Oberlehrerstellen notwendig. Es wurde daher zu Ostern 1904 der bisherige wissenschaftliche Hilfslehrer Herr Dr. Paul Mertens als Oberlehrer angestellt und ebenso zu Michaelis 1904 der bisherige wissenschaftliche Hilfslehrer Herr Johannes Theel.
[zwei Lebensläufe]
Zu Ostern 1904 schied aus unserer Mitte Herr Georg Türcke, der seit Michaelis 1902 als wissenschaftlicher Hilfslehrer hier mit Eifer und Erfolg gewirkt hatte; er wurde als Oberlehrer an das Humboldt-Gymnasium berufen. Zu demselben Termine übernahm der Kandidat der Theologie Herr Martin Wachsmann mit Genehmigung des Kgl. Provinzial-Schulkollegiums eine Anzahl von Lehrstunden.
Einen lieben Schüler haben wir durch den Tod verloren: Erich Reimann, Sohn des hiesigen Rektors Herrn Adalbert Reimann, seit Michaelis 1898 unser Schüler, zuletzt Obersekunda, ein fleissiger, liebenswürdiger und wohlbefähigter Schüler, der einzige Sohn seiner Eltern, starb am 6. Februar an einer Blinddarmentzündung. Wir haben an dem tiefen Schmerz der gebeugten Eltern den innigsten Anteil genommen.
IV, Statistische Mitteilungen
Mit dem Zeugnis der Reife wurden entlassen:
B. Zu Ostern 1905
No.: 4
Name: Friedrich Dobe
Geburtstag: 24.8.1885
Religion: ev.
Geburtsort: Berlin
Stand des Vaters: Ober-Postassistent
Zeit des Aufenthalts
auf der Anstalt: 9 1/2
in Prima: 2
Studium oder Beruf: Physik
[Zum Schluss:]
... auch das Schulgeld für das nächste Vierteljahr mit 35 Mark zu entrichten.
Dr. Ludwig Bellermann,
Direktor