Im Zusammenhang mit den Bücherdiebstählen an der Staatsbibliothek Berlin erhob diese eine Schadenersatzklage gegen Friedrich Dobe. Alle Angaben zu diesem Prozess habe ich aus einer Akte aus dem Archiv der Staatsbibliothek.
Nach Abschluss des ersten Prozesses zum Diebstahl erhob die Staatsbibliothek am 12. Mai 1924 Schadenersatzklage gegen Friedrich Dobe. Die Staatsbibliothek ging von einem Schade von 9.100 Goldmark aus. Zu dieser Summe kam die Staatsbibliothek, indem sie für die sieben Inkunabeln einen Wert ermittelte und einen prozentualen Wertverlust annahm:
Schaden: Neukolorierung, Farbe durchgeschlagen und verlaufen. Früher ausgezeichnetes schwarzes Exemplar. Einband neu, vorher moderner Ganzlederband.
Beschädigung: 60% von 10.000 M - 6.000 M
Schaden: Titelblatt unten abgerissen, zur Entfernung des Stempels. Moderner Lederband.
Beschädigung: 20% von 1.500 M - 300 M
Schaden: Titelblatt beschädigt wie bei 2. Einband ersetzt durch neuen.
Beschädigung: 20% von 500 M - 100 M
Schaden: Schnitt seitlich (schief) beschnitten, Stempel auf der Vorderseite des ersten Blattes entfernt durch Rasur. Einband ersetzt durch neuen.
Beschädigung: 25% von 2.500 M - 625 M
Schaden: Kleiner Stempel auf dem ersten und letzten vorhandenen Blatt entfernt durch Rasur. Einband durch neuen ersetzt. (Vorher Band aus dem 17. Jahrhundert.) Erstes u. letztes Blatt, (die fehlten) durch Zeichnung ersetzt. Es fehlen ausserdem im ganzen ca. 50 Bl.
Beschädigung: 5% von 2.500 M - 125 M
Schaden: Aus Blatt 1 unten ein Stück herausgerissen mit dem Stempel. Geringer Textverlust durch Zeichnung ergänzt. Einband durch neuen ersetzt. (Vorher moderner Band).
Beschädigung: 25% von 1.800 M - 450 M
Schaden: Aus Bl. 1 unten ein Stück mit dem Stempel herausgerissen. Aus dem letzten Blatt Stempel entfernt (ein Loch), das Entfernte durch Papiermasse gefüllt und der fehlende Text durch Zeichnung ersetzt. Einband ersetzt, mit blauem Schnitt.
Beschädigung: 25% von 6.000 M - 1.500 M
Um bei erfolgreicher Schadenersatzklage wenigstens einen Teil der sehr hohen Schadensumme zu bekommen, entschloss sich die Staatsbibliothek, einen Vermögensarrest in Form einer Pfändung durchführen zu lassen.
Am 21. März 1925 erschien also der Gerichtsvollzieher bei Friedrich Dobe. Mit allen Zulagen, Gebühren, Zinsen usw. erhöhte sich der zu vollstreckende Betrag auf 10.278,55 M. Friedrich Dobe erklärte, nicht zahlen zu können. Da wohl nicht viel Wertvolles und Pfändbares in der Wohnung gefunden wurde, so wurde ein Teil der Bibliothek von Friedrich Dobe gepfändet, indem vor die Regale Schnüre gespannt wurden und die Enden dieser Schnüre mit einem Pfandsiegel versehen wurden. Im Pfändungsprotokoll findet sich eine umfangreiche Aufstellung der Einrichtungsgegenstände Friedrich Dobes. Er besaß einen Kleider- oder Wäschespind, einen Schreibtisch, eine alte Chaiselongue, drei Stühle, eine Kommode, ein Waschständer, eine Waschtoilette, eine Bettstelle mit Betten, ein Schlafsofa, eine Uhr, eine Nähmaschine, ein Spiegel oder Spiegelspind, drei Gardinen, eine Lampe, ein Kinderbett/ Kinderwagen[!?], das notwendige Haus- und Küchengerät und Kleinigkeiten.
Am 16. April 1925 wurde eine weitere Pfändung versucht, aber auch dabei wurden keine weiteren Vermögensgegenstände gefunden. Die zweite Hälfte der Bibliothek Friedrich Dobes wurde in diesem Zusammenhang für unpfändbar gehalten. Auch über die schon gepfändete erste Hälfte der Bibliothek wurde verhandelt, da Friedrich Dobes Anwalt meinte, Dobe benötige den Zugriff für seine wissenschaftlichen Arbeiten, also für seine Arbeit, wodurch diese Gegenstände nicht pfändbar wären.
So wurde die Pfändung im Mai 1925 aufgehoben.
Für die Pfändung sendete der Anwalt der Staatsbibliothek dieser eine Kostenrechnung in Höhe von 568,82 M. Die Staatsbibliothek fiel aus allen Wolken. Ein reger Schriftwechsel setzte ein, doch am Schluss musste die Staatsbibliothek die Rechtmäßigkeit der Kostenrechnung anerkennen und die Zahlung anweisen.
Besonders umstritten bei dem Schadenersatzverfahren waren die Schäden am Ritter von Turn. Friedrich Dobe bestritt nicht nur den Diebstahl (für den er allerdings schon auf Grund von Indizien verurteilt war), sondern auch die Bemalungen der Holzschnitte. Er lies weiterhin von seinem Anwalt erklären, dass er das Werk so erhalten hätte und im Gegenteil darüber nachgedacht hätte, die schlecht gemachten Bemalungen zu entfernen. Dies hätte er nur aus Rücksicht auf den sowieso schon schlechten Zustand des Werkes nicht gemacht. Es wurde also ein Gutachten beauftragt, um Näheres zu den Bemalungen feststellen zu lassen. Auch dieses Gutachten brachte nicht die gewünschten Ergebnisse. Es blieben Uneinigkeiten, ob die nun vorhandenen Bemalungen auf davor unbemalte Holzschnitte aufgetragen wurden oder schon vorhandenen Bemalungen übermalt wurden. Wurden die Bemalungen auf schon vorhandenen Bemalungen aufgetragen, dann konnte es sich nicht mal um das Exemplar der Staatsbibliothek handeln, denn dieses war unbemalt. Auch zu den verwendeten Farben gab es Unklarheiten. Nach Auffassung der Gutachter wurden dafür Temperafarben verwendet. Friedrich Dobe besaß aber nur Aquarellfarben, die ja alle bei der zweiten Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden.
Das Ganze zog sich hin und hin und am Ende wurde am 4. April 1928 ein Vergleich zwischen der Staatsbibliothek und Friedrich Dobe beschlossen. Der Vergleich hatte folgenden Inhalt:
- Der Beklagte gibt der Staatsbibliothek als Entschädigung ein Sammelwerk: Thomas de Kempis, de Imitatione Christi. Er erkennt an, einen Anspruch auf Herausgabe der sieben Bücher, welche bei ihm beschlagnahmt sind, nicht zu haben. Umgekehrt verzichtet der Kläger auf die geltendgemachte Schadenersatzforderung.
- Die Gerichtskosten übernimmt der Kläger, mit Ausnahme der baren Auslagen, insbesondere der Kosten der Sachverständigen, welche der Beklagte übernimmt. Die aussergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits trägt jede Partei für sich.
Im Jahre 1926 - also noch Mitten im laufenden Schadenersatzverfahren - hat die Staatsbibliothek den Mathaeus de Cracovia als Dublette an das Antiquariat Hiersemann abgegeben. Nach Information aus der Staatsbibliothek befindet sich dieses Buch nun in der SUB Göttingen.