Samstag, 6. September 2025

1895/96

Berlinisches Gymnasium zum grauen Kloster
Ostern 1896
Jahresbericht [1895/96]

II. Verfügungen der vorgesetzten Behörden
Ministerialerlass vom 11. Juli 1895. "Durch Erlass vom 21. September 1892 habe ich das Königliche Provinzial-Schulkollegium auf den erschütternden Vorfall aufmerksam gemacht, der sich in jenem Jahre auf einer Gymnasialbadeanstalt ereignet hatte, dass ein Schüler beim Spielen mit einer Salonpistole von einem Kameraden seiner Klasse erschossen und so einem jungen hoffnungsvollen Leben vor der Zeit ein jähes Ende bereitet wurde.
Ein ähnlicher, ebenso schmerzlicher Fall hat sich vor kurzem in einer schlesischen Gymnasialstadt zugetragen. Ein Quartaner versuchte mit einem Tesching, das er von seinem Vater zum Geschenk erhalten hatte, im väterlichen Garten im Beisein eines anderen Quartaners Sperlinge zu schiessen. Er hatte nach vergeblichem Schusse das Tesching geladen, aber in Versicherung gestellt und irgendwo angelehnt. Der andere ergriff und spannte es, hierbei sprang der Hahn zurück, das Gewehr entlud sich, und der Schuss traf einen inzwischen hinzugekommenen, ganz nahe stehenden Sextaner in die linke Schläfe, so dass der Knabe nach drei Viertelstunden starb.
In dem erwähnten Erlasse hatte ich das Königliche Provinzial-Schulkollegium angewiesen, den Anstaltsleitern seines Aufsichtsbezirkes aufzugeben, dass sie bei Mitteilung jenes schmerzlichen Ereignisses der ihrer Leitung anvertrauten Schuljugend in ernster und nachdrücklicher Warnung vorstellen sollten, wie unheilvolle Folgen ein frühzeitiges, unbesonnenes Führen von Schusswaffen nach sich ziehen kann, und wie auch über das Leben der zurückgebliebenen unglücklichen Mitschüler für alle Zeit ein düsterer Schatten gebreitet sein muss.
Gleichzeitig hatte ich darauf hingewiesen, dass Schüler, die, sei es in der Schule oder beim Turnen und Spielen, auf der Badeanstalt oder auf gemeinsamen Ausflügen, kurz wo die Schule für eine angemessene Beaufsichtigung verantwortlich ist, im Besitze von gefährlichen Waffen, insbesondere von Pistolen und Revolvern, betroffen werden, mindestens mit der Androhung der Verweisung von der Anstalt, im Wiederholungsfalle aber unnachsichtig mit Verweisung zu bestrafen sind.
Auch an der so schwer betroffenen Gymnasial-Anstalt haben die Schüler diese Warnung vor dem Gebrauche von Schusswaffen, und zwar zuletzt bei der Eröffnung des laufenden Schuljahres durch den Direktor erhalten. Solche Warnungen müssen freilich wirkungslos bleiben, wenn die Eltern selber ihren unreifen Kindern Schiesswaffen schenken, den Gebrauch dieser gestatten und auch nicht einmal überwachen. Weiter jedoch, als es in dem erwähnten Erlasse geschehen ist, in der Fürsorge für die Gesundheit und das Leben der Schüler zu gehen, hat die Schulverwaltung kein Recht, will sie sich nicht den Vorwurf unbefugter Einmischung in die Rechte des Elternhauses zuziehen. Wenn ich auch daher den Versuch einer Einwirkung nach dieser Richtung auf die Kundgebung einer innigen Teilnahme an so schmerzlichen Vorkommnissen und auf den Wunsch beschränken muss, dass es gelingen möchte, der Wiederholung solcher in das Familien- und Schulleben so tief eingreifenden Fälle wirksam vorzubeugen, so lege ich doch Wert darauf, dass dieser Wunsch in weiteren Kreisen und insbesondere den Eltern bekannt werden, die das nächste Recht an ihre Kinder, zu ihrer Behütung aber auch die nächste Pflicht haben. Je tiefer die Überzeugung von der Erspriesslichkeit einmütigen Zusammenwirkens von Elternhaus und Schule dringt, um so deutlicher werden die Segnungen eines solchen bei denjenigen hervortreten, an deren Gedeihen Familien und Staat ein gleiches Interesse haben."

III. Chronik des Gymnasiums
Der unterzeichnete Direktor [Dr. Ludwig Bellermann] war infolge einer schweren Erkrankung, die ihn im Februar 1895 ergriffen hatte, während des ganzen Sommerhalbjahres ausser jeder amtlichen Thätigkeit und musste sowohl in seinem Unterricht als in der Führung der Direktoratsgeschäfte vertreten werden; erst mit dem Beginn des Winterhalbjahres konnte er beides wieder aufnehmen. Er spricht hierdurch den Königlichen und Städtischen Behörden für das ihm in der Zeit seiner Krankheit bewiesene wohlwollende Entgegenkommen, ebenso allen Mitgliedern des Lehrerkollegiums der Anstalt für ihr bereitwilliges Eintreten sowie für ihre persönliche, wahrhaft freundschaftliche Teilnahme, und insbesondere dem Herrn Professor Dr. Heidemann für die vortreffliche Führung der mühevollen Amtsgeschäfte während dieser Zeit, auch an dieser Stelle nochmals den herzlichsten und aufrichtigsten Dank aus.

Auch der Herr Professor Dr. Hoesch war während des grössten Teils des Sommerhalbjahres wegen Erkrankung beurlaubt und konnte erst nach den Sommerferien einen Teil seines Unterrichts wieder selbst übernehmen.

Schulfeierlichkeiten
Der 1. April 1895, der achtzigste Geburtstag des Fürsten von Bismarck, zu dessen Feier sich das deutsche Volk in allen Teilen der Erde rüstete, gab auch unserer Anstalt, deren Schüler der Fürst von Ostern 1830 bis Ostern 1832 war, Anlass zu einer Festschrift, die alles enthalten sollte, was in den Akten des grauen Klosters sich auf den Gefeierten bezog, die Dokumente über seine Aufnahme, über Versetzung und Abgang, Schulzeugnisse, Protokolle, das Zeugnis der Reife. Da der Unterzeichnete während der Vorbereitung zur Drucklegung erkrankte, so übernahmen die Herren Professor Dr. Meyer und Dr. Stiller die Fertigstellung der Schrift. Sie wurde zum Festtage dem Fürsten in würdiger Ausstattung überschickt.

Ebenso liessen die Schüler des Gymnasiums ein Festgeschenk zu diesem Tage herstellen: sieben grosse Photographien, die äusseren und inneren Räume des Klosters darstellend, namentlich den alten gothischen Kapitelsaal ("Singsaal") sowie die Aula und verschiedene Ansichten der Höfe mit den alten Gebäuden und  der Klosterkirche, wurden vom Hofphotographen Albert Schwartz in mustergiltiger Weise ausgeführt und, zu einem prachtvollen Album vereinigt, dem Fürsten nebst einer Widmung zugesandt.

Am 1. April selbst fand eine Schulfeier in der Aula statt, bestehend aus einer Festrede des Herrn Professors Dr. Meyer und dem Gesang vaterländischer Lieder.

Eine schöne Erinnerung an den festlichen Tag wurde uns noch durch ein freundliches Geschenk der Frau Dr. Schneider zu teil: ein Eichenstämmchen aus dem Sachsenwalde, welches auf unserem vorderen Schulhofe unter dem Namen einer Bismarckeiche eingepflanzt ist und allem Anschein nach gut und kräftig gedeiht. Möge dereinst, wenn es zu einem mächtigen Baum herangewachsen ist, das dankbare Andenken an den grossen Mann noch ebenso lebendig wie heut unter den Angehörigen des Klosters sein.

Angeregt durch die Wiederbelebung dieser alten Erinnerungen, vereinigten sich zehn Männer, welche in Prima Mitschüler des jungen Otto von Bismarck gewesen waren, zur Stiftung einer Gedenktafel. Der Gedanke war von dem Herrn Landgerichtsrat a. D. Karl Friedrich Geest ausgegangen, der diesen Plan ursprünglich schon im Herbst 1894 gefasst hatte und ihn nunmehr von neuem aufnahm. Seinem Eifer ist das Zustandekommen der Sache vornehmlich zu danken. Die Ausführung geschah im September 1895, indem an der Strassenmauer des Gymnasiums eine Tafel von weissem carrarischem Marmor angebracht wurde, welche in goldenen Buchstaben die Inschrift trägt: "Otto von Bismarck war des Grauen Klosters Schüler vom 4. Mai 1830 (Gross-Sekundaner) bis 14. April 1832 (Abiturient) - Dem Fürsten Bismarck zum Jubiläumstage, dem 2. September 1895, seine Mitschüler der Prima von 1829-1833."

Die Namen der Stifter sind folgende, nach der Reihenfolge ihres Abgangs von unserer Anstalt: 1. Karl Friedrich Geest, Landgerichtsrat a. D. in Berlin (Abiturient Ostern 1831), 2. Rudolf Tirpitz, Geheimer Justizrat in Frankfurt a. O. (Ostern 1831), 3. Ernst Beyrich, Geheimer Bergrat und Professor an der Universität Berlin (Mich. 1831), 4. Hermann von Klützow, Wirklicher Geheimer Rat in Berlin, Vorsitzender der Kur- und Neumärkischen Ritterschaftsdirektion, Dechant des Domstifts Brandenburg (Mich. 1831), 5. Ludwig von Hanstein, Pastor emeritus in Berlin (Ostern 1832), 6. Gustav Frantz, Pastor emeritus in Frankfurt a. O. (Mich. 1832), 7. Dr. Eduard Hildebrandt, Geheimer Sanitätsrat in Berlin (Ostern 1833), 8. Dr. Leo Klein, Geheimer Sanitätsrat in Berlin (Ostern 1833), 9. Dr. Wilhelm Langerhans, Reichsgerichtsrat in Leipzig (Mich. 1833), 10. Dr. Karl Weitling, Prediger und Archidiakonus an St. Petri in Berlin (Mich. 1833).

Der unterzeichnete Direktor erhielt den ehrenvollen Auftrag, Seiner Durchlaucht Mitteilung von dieser Widmung zu machen, und fügte seinem Schreiben auf Wunsch der Stifter zwei Abbildungen der Gedenktafel, hergestellt von dem Zeichenlehrer der Anstalt Herrn Heiser, sowie die Schulprogramme der Jahre 1831-1834 bei, in welchen die zehn Stifter, ebenso wie Fürst Bismarck selbst, als Abiturienten aufgeführt sind. Die Antwort des Fürsten lautete:

"Friedrichsruh, den 3. November 1895. Ew. Hochwohlgeboren bitte ich, meinen ehemaligen Schulgenossen für die hohe Auszeichnung, die sie mir durch Anbringung einer Gedenktafel an unserem alten Gymnasium erwiesen haben, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Der Lebenslauf dieser meiner Mitschüler gewährt ein günstiges Zeugnis für die Leitung unserer Schule als Vorbereitung für den Dienst des Vaterlandes in engeren und in weiteren Kreisen. Die Lektüre der Schulprogramme aus meiner Primanerzeit hat mir viele Freude bereitet, und ich bin für die hübschen Aquarelle dem geschickten Künstler zu besonderem Danke verpflichtet. v. Bismarck."

Zur Entgegennahme dieses Antwortschreibens sowie zur Besichtigung der Tafel wurden die zehn genannten Herren auf Sonntag, den 17. Nov. in die Räume des Gymnasiums eingeladen, wo der Direktor und eine Anzahl der Lehrer des Gymnasiums sie empfing. Wir hatten die Freude, vier von ihnen, die Herren Geest, von Hanstein, Hildebrandt und Weitling, hier zu sehen (während die andern durch Entfernung und Alter zurückgehalten waren) und waren hoch erfreut über die körperliche und geistige Frische, mit der die mehr als Achtzigjährigen in froher Erinnerung und gehobener Stimmung, das Kloster und ihren grossen Mitschüler in begeistertem Trinkspruch feiernd, heiter und behaglich unter uns weilten. Unsere Anstalt spricht hier nochmals den aufrichtigsten Dank aus für den schönen künstlerischen Schmuck, welcher von der Gesinnung der Stifter gegen das Vaterland wie gegen die Schule das schönste Zeugnis ablegt.

Durch Erlass vom 4. Dezember 1895 hat seine Excellenz der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten dem Gymnasium ein grosses und wertvolles Bildnis des Fürsten von Bismarck, in vorzüglicher Ausführung vom Maler Paul Beckert hergestellt, als Geschenk überwiesen. Ich wiederhole an dieser Stelle den gehorsamsten Dank für dieses Bild, welches seitdem eine neue künstlerische Zierde unserer Aula bildet.

Am 11. Juni nahmen einige Schüler unter Führung eines Lehrers an der Feier der Enthüllung des Lutherdenkmals vor der Marienkirche teil.

Am 2. September wurde die fünfundzwanzigste Wiederkehr des Jahrestages der Schlacht von Sedan durch eine Schulfeier begangen. Die Festrede hielt der Herr Professor Dr. Lamprecht, welcher Mitkämpfer in vielen Schlachten und Gefechten des grossen Krieges gewesen ist und die Zeit desselben aus persönlichen Erinnerungen den Schülern vorführte. Hierauf begaben sich die Schüler der oberen Klassen unter Führung mehrerer Lehrer der Anstalt nach dem Lustgarten und nahmen daselbst Aufstellung zur Begrüssung Seiner Majestät des Kaisers, welcher nach Abhaltung der Parade an der Spitze der Fahnen und Feldzeichen ins Schloss zurückkehrte.

Am 2. November wurde das märkische Reformationsfest durch eine Schulfeier begangen, bei welcher Herr Professor Dr. Nohl die Festrede hielt. Die vom Magistrat uns übersandte Denkmünze erhielt der Oberprimaner Felix Raede.

Am 18. Januar wurde die fünfundzwanzigste Wiederkehr des Tages der Aufrichtung des deutschen Reiches durch eine Schulfeier in der Aula begangen, in welcher die Büste Kaiser Wilhelms I., mit frischem Grün umgeben und lorbeerbekränzt, aufgestellt war. Die Feier bestand in Gesängen der ersten Gesangklasse, Gedichtvorträgen einzelner Schüler und allgemeinen vaterländischen Liedern. Die vom Ministerium uns übersandten Exemplare von Lindner, der Krieg gegen Frankreich, wurden verteilt.

Am 27. Januar wurde der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert, wobei Herr Professor Dr. Kinzel die Festrede hielt.

Veränderungen im Lehrerkollegium
Zu Michaelis 1895 schied das älteste Mitglied unseres Lehrerkollegiums, der Prorektor des Gymnasiums, Herr Professor Dr. Bollmann aus unserer Mitte, indem er auf seinen Wunsch in den Ruhestand trat. Er beschloss damit eine Lehrthätigkeit von 50 1/2 Jahr und hat während dieses langen Zeitraumes, mit Ausnahme des ersten Jahres, seine Dienste ununterbrochen dem grauen Kloster gewidmet. 

[ausführlicher Lebenslauf]

Zu Ostern 1895 feierte er sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum, aus welchem Anlass ihm Seine Majestät der König den Adler der Ritter des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit der Zahl 50 verlieh. Am Vormittag des 6. April wurde ihm in seiner Wohnung von den verschiedensten Seiten Beglückwünschung zu dem seltenen Festtage zu teil: Der Herr Stadtschulrat Fürstenau sprach ihm im Namen des Magistrats Glückwunsch und Anerkennung aus; das Lehrerkollegium überreichte ihm als Ehrengabe einen silbernen Pokal und sprach ihm durch den Herrn Professor Heidemann seine innige Mitfreude und Verehrung aus (der Direktor war an dem Tage zu seinem schmerzlichen Bedauern noch durch Krankheit behindert), das Direktorium der Streit'schen Stiftung, dem er fast 20 Jahre als Mitglied angehört hat, versicherte ihn seines Dankes, eine grosse Anzahl früherer Schüler begrüsste ihn in alter Anhänglichkeit, und auch die gegenwärtigen Schüler brachten ihm durch eine Abordnung dankbaren Glückwunsch und eine schöne Festgabe.

Obwohl er trotz seiner 75 Jahre sich noch einer staunenswerten Rüstigkeit des Körpers und Geistes erfreute, glaubte er doch nunmehr die Zeit gekommen, sich von seiner amtlichen Thätigkeit zurückzuziehen. Er beantragte deshalb für Michaelis 1895 seine Dienstentlassung, die ihm in der ehrenvollsten Weise gewährt wurde. Die Freundschaft und Hochachtung seiner Amtsgenossen folgen ihm in den wohlverdienten Ruhestand. Wir wünschen ihm von Herzen eine noch recht lange Reihe von Jahren ungetrübten Glückes im Kreise seiner Familie.

Die durch das Ausscheiden des Professors Bollmann erledigte Oberlehrerstelle ist durch Wahl des Magistrats dem bisherigen wissenschaftlichen Hilfslehrer Paul Hildebrandt übertragen worden. [Lebenslauf]

Von den wissenschaftlichen Hilfslehrern schied zu Ostern 1894 Herr Dr. Lippstreu aus, während die Herren Zietzki und Fabienke als Hilfslehrer, Herr Dr. Jumpertz als Probekandidat eintraten; zu Michaelis 1894 schieden die Herren Görz und Dr. Ries von uns, Herr Dr. Viereck trat als Hilfslehrer, Herr Dr. Lucas als Probekandidat ein.

[Am Schluss:]
... auch das Schulgeld für das nächste Vierteljahr mit 32,50 M zu entrichten.

Dr. Ludwig Bellermann.
Direktor.