Samstag, 6. September 2025

1894/95

Berlinisches Gymnasium zum grauen Kloster
Ostern 1895
Jahresbericht [1894/95]

II. Verfügungen der vorgesetzten Behörden
... 
Verfügung des Königl. Schul-Kollegiums vom 26. Januar: In Würdigung der Wichtigkeit, welche eine gute leserliche Handschrift für das praktische Leben hat, ist die Schule bemüht, auf die Pflege einer solchen auch über die Zeit des eigentlichen Schreibunterrichts hinaus bei ihren Zöglingen hinzuwirken. Leider aber entsprechen die Erfolge, wie auch die Revisionsbemerkungen zu den deutschen Abiturienten-Aufsätzen von Ostern 1894 beweisen, noch nicht überall der aufgewandten Mühe. Liegen auch die Gründe dafür unzweifelhaft zu nicht geringem Teil in der Flüchtigkeit der Jugend, so wird die Schule doch bemüht sein müssen, nach wie vor gegen die daraus erwachsenden Vernachlässigungen anzukämpfen. Viel vermögen die Lehrer zu deren Beseitigung dadurch beizutragen, dass sie jede Verlockung zur Flüchtigkeit, z. B. durch zu rasche Diktate, meiden und dass sie keinen Aufsatz oder keine Reinschrift aus den Händen der Schüler annehmen, in welchen Flüchtigkeit und Unordentlichkeit der Schrift zu rügen sind.

III. Chronik des Gymnasiums
1. Schulfeierlichkeiten.
Vor der Verteilung der Osterzensuren des vorigen Jahres wandte sich der Direktor nach der feierlichen Entlassung der Abiturienten an den aus dem Amte scheidenden Professor Dr. Simon, wünschte ihm mit herzlichen Worten Glück für sein zukünftiges Leben und überreichte ihm den von Sr. Majestät dem Könige übersandten roten Adlerorden IV. Klasse, worauf der Scheidende in tiefer Rührung sich von seinen Kollegen und Schülern verabschiedete.

Am 18. April wurde eine Gedächtnisfeier für den am 16. März 1894 in Rostock verstorbenen Professor Dr. Hoppe veranstaltet. Die Worte, mit denen der unterzeichnete Direktor ein Bild des vortrefflichen Mannes, der mehr als fünfzig Jahre als Schüler und Lehrer dem grauen Kloster angehört hat, zu zeichnen versuchte, mögen hier zu seinem Andenken eine Stelle finden. [ausführlicher Nachruf]

Am 2. September wurde der Gedenktag des Sieges von Sedan durch eine Schulfeier mit Gesang und Aufführung des Festspiels "Fehrbellin" von Prof. Dr. Meyer begangen. - Am 2. November wurde das märkische Reformationsfest durch eine Schulfeier begangen, bei welcher Herr Prof. Dr. Kränzlin die Festrede hielt. Die vom Magistrat uns übersandte Denkmünze erhielt der Oberprimaner Max Schmohl. - Am 26. Januar fand die Vorfeier für den Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers statt, wobei Herr Prof. Dr. Tiedke die Festrede hielt. - An den Geburts- und Todestagen unserer unvergesslichen Kaiser, Wilhelms I. und Friedrichs III., wurden die Schüler der Anstalt jedesmal auf die Verdienste und Tugenden der verewigten Herrscher hingewiesen.

Die treugemeinten Wünsche, mit denen unsere Anstalt im vorjährigen Programm von ihrem zu Michaelis 1893 in den Ruhestand versetzten Direktor, dem früheren Stadtschulrat und späteren Stadtältesten Herrn Professor Dr. theol. und phil. Friedrich Hofmann, Abschied nahm, sind zu unserem tiefsten Schmerze nicht in Erfüllung gegangen. Eine lange Reihe freundlicher Jahre im ungetrübten Genusse der wohlverdienten Ruhe hatten wir für den Scheidenden erhofft, aber nur eine kurze Spanne Zeit ist ihm noch von der Vorsehung beschieden gewesen. Anderthalb Jahre nur hat er sich der beschaulichen Ruhe des Alters erfreuen dürfen, das mit innerer Befriedigung und mit Stolz zurückblicken konnte auf eine mehrere Menschenalter umfassende reich gesegnete Wirksamkeit. Er hat in diesen anderthalb Jahren noch, ganz wie zur Zeit seiner Amtsführung, den herzinnigsten und regsten Anteil an allem, auch dem Kleinsten genommen, was das Glück und Gedeihen seiner Schule betraf. Da ereilte ihn ganz unerwartet am 4. März 1895 ein schneller Tod. Eine leichte Influenza hatte ihn befallen, und schon erhoffte man Besserung für den Kranken, als eine plötzlich hinzutretende Lungenentzündung nach zweitägigem schwerem Leiden seinem Leben ein Ziel setzte.

Freitag, den 8. März wurde in der Aula unseres Gymnasiums die Totenfeier für den Verblichenen abgehalten. Der Sarg war, von prächtigem Pflanzenschmuck und strahlenden Kerzen umgeben, in der Mitte des Podiums aufgebahrt. Zur Rechten hatten Primaner der Anstalt, zur Linken ehemalige Schüler des Gymnasiums, die dem Akademischen Klosteraner-Verein angehören, Aufstellung genommen, beide Teile mit umflorten Fahnen. Ausser den Lehrern und Schülern des Klosters nahmen an der Feier die Familienangehörigen und Freunde des Verewigten, sowie zahlreiche Abordnungen teil. Vom Magistrate waren der Oberbürgermeister Zelle, die Stadtschulräte Fürstenau und Bertram und die Stadträte Voigt und Kochhann erschienen, ebenso hatte die Stadtverordneten-Versammlung mehrere ihrer Mitglieder abgeordnet. Die Direktoren der höheren Lehranstalten Berlins waren fast vollzählig anwesend. Die Leichenrede hielt der Pfarrer Riemann über das alttestamentliche Wort: Ein treuer Mann wird viel gesegnet. Die Trauergesänge trug die erste Singeklasse der Anstalt vor. Nach Beendigung der erhebenden Feier wurden die sterblichen Reste nach dem alten Nikolai-Kirchhofe am Prenzlauer Thor überführt.

Welch bleibende Verdienste der Verewigte sich um den Staat als Landtagsabgeordneter, um die Stadt Berlin als Stadtschulrat und um unser Kloster zwanzig Jahre lang als Lehrer und achtzehn Jahre lang als Leiter erworben hat, das ist im vorjährigen Programm eingehend gewürdigt worden und soll deshalb hier nicht wiederholt werden. Sein Andenken, das ist gewiss, wird in der Geschichte des grauen Klosters immerdar gesegnet bleiben und nie erlöschen. Die Lehrer der Anstalt und die ungezählten Scharen seiner Schüler werden sein Bild voll dankbarer Verehrung und Liebe allezeit im Herzen treu bewahren.

2. Veränderungen im Lehrerkollegium
Die durch das Ausscheiden der Professoren Dr. Simon und Dr. Hoppe zu Ostern 1894 erledigten Oberlehrerstellen sind durch Wahl des Magistrats den bisherigen wissenschaftlichen Hilfslehrern Dr. Richard Weise und Otto Hettwer übertragen worden. [kurze Lebensläufe]

Von den wissenschaftlichen Hilfslehrern schied zu Ostern 1893 Herr Dr. Oder von uns, um eine Oberlehrerstelle am Werderschen Gymnasium zu übernehmen; gleichzeitig traten Herr Dr. Koeppen und Herr Dr. Lippstreu, ferner als Probe-Kandidat Herr Zietzki, als technischer Hilfslehrer Herr Schaerf ein. Unter den technischen Lehrern fand kein Wechsel statt.

[Zum Schluss:]
... auch das Schulgeld ist für das nächste Vierteljahr mit 32,50 M zu entrichten.

Dr. Ludwig Bellermann.
Direktor.