Berlinisches Gymnasium zum grauen Kloster
Ostern 1902
Jahresbericht [1901/02]
Die wissenschaftliche Beilage bildet ein Verzeichnis der in unserer Bibliothek enthaltenen Leichenpredigten des XVI, XVII. und XVIII. Jahrhunders, verfasst von dem Bibliothekar der Anstalt, Herrn Professor Dr. Hermann Nohl
II. Verfügungen der vorgesetzten Behörden
Ministerialerlass vom 25. Oktober 1901. Dieser Erlass enthält Bestimmungen über die Versetzung der Schüler, von denen Folgendes besonders hervorzuheben ist:
Die Unterlagen für die Versetzung bilden die im Laufe des Schuljahres abgegebenen Urteile und Zeugnisse der Lehrer, insbesondere aber das Zeugnis am Ende des Schuljahres.
In den Zeugnissen kann zwar zwischen den einzelnen Zweigen eines Faches (z.B. Grammatik und Lektüre, mündliche und schriftliche Leistungen) unterschieden werden; doch muss das Urteil für jedes Fach in eins der Prädikate 1. Sehr gut, 2. gut, 3. genügend, 4. mangelhaft, 5. ungenügend, zusammengefasst werden.
Im allgemeinen ist die Zensur "Genügend" in den verbindlichen wissenschaftlichen Unterrichtsgegenständen der Klasse als erforderlich für die Versetzung anzusehen. Über mangelhafte und ungenügende Leistungen in dem einen oder dem anderen Fache kann hinweggesehen werden, wenn nach dem Urteile der Lehrer die Persönlichkeit und das Streben des Schülers seine Gesamtreife gewährleistet, und wenn angenommen werden darf, dass der Schüler auf der nächstfolgenden Stufe das Fehlende nachholen kann. - Indes ist die Versetzung nicht statthaft, wenn ein Schüler in einem Hauptfache das Prädikat "Ungenügend" erhalten hat und diesen Ausfall nicht durch mindestens "Gut" in einem anderen Hauptfache ausgleicht. Als Hauptfächer sind für das Gymnasium anzusehen: Deutsch, Lateinisch, Griechisch und Mathematik (Rechnen).
Unzulässig ist es, Schüler unter der Bedingung zu versetzen, dass sie am Anfange des neuen Schuljahres eine Nachprüfung bestehen. Dagegen ist es statthaft, bei Schülern, die versetzt werden, obwohl ihre Leistungen in einzelnen Fächern zu wünschen übrig liessen, in das Zeugnis den Vermerk aufzunehmen, dass sie die Lücken in diesen Fächern im Laufe des nächsten Jahres beseitigen müssen, widrigenfalls ihre Versetzung in die nächstfolgende Klasse nicht erfolgen könne (Admonition).
Solche Schüler, denen auch nach zweijährigem Aufenthalt in derselben Klasse die Versetzung nicht hat zugestanden werden können, haben die Anstalt zu verlassen, wenn nach dem Urteil der Lehrer ein längeres Verweilen nutzlos sein würde. Doch ist für diese, nicht als Strafe anzusehende Massregel erforderlich, dass den Eltern mindestens ein Vierteljahr zuvor eine darauf bezügliche Nachricht gegeben worden ist.
Solche Schüler, welche ohne versetzt zu sein die Schule verlassen, dürfen vor Ablauf eines Halbjahrs nicht in eine höhere Klasse aufgenommen werden, als das Abgangszeugnis ausspricht. Erfolgt die erneute Anmeldung bei derselben Anstalt, welche der Schüler verlassen hat, so ist vor der Aufnahmeprüfung unter Darlegung der besonderen Verhältnisse die Genehmigung des Provinzial-Schulkollegiums einzuholen.
III. Chronik des Gymnasiums
1. Schulfeierlichkeiten
Am 19. Juni nahm eine grössere Anzahl unserer Primaner und Sekundaner an einem von vielen höheren Lehranstalten Berlins veranstalteten Wett-Barlaufspiel teil und errang dabei als Siegespreis den im Jahre 1896 von dem Zentralausschuss für Volks- und Jugendspiele gestifteten "Bismarckschild", der das Reliefbild des grossen Kanzlers zeigt nebst seinem Wahlspruch Patriae inserviendo consumor, und den jedesmal die siegreiche Anstalt bis zum Wettspiel des folgenden Jahres im Besitz behält.
Der 2. September, der Gedenktag des Sieges von Sedan, wurde durch Ausfall der Schule und durch Ausflüge der einzelnen Klassen gefeiert.
Am 2. November wurde das Märkische Reformationsfest durch eine Schulfeier begangen, bei der Herr Oberlehrer Zietzki die Festrede hielt. Die vom Magistrat übersandte Denkmünze erhielt der Oberprimaner Albert Ritzenfeld.
Am 18. Dezember waren auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs die sämtlichen Lehrer und Schüler der Anstalt bei der feierlichen Enthüllung des Denkmals des Kurfürsten Johann Georg in der Siegesallee zugegen, welcher im Jahre 1574 durch Schenkung der Räume des alten Franziskanerklosters an den Rat der Stadt Berlin "zur Gründung einer lateinischen Schule" unser Gymnasium, das älteste Berlins, gestiftet hat.
Am 27. Januar wurde der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert, wobei der Herr Professor Dr. Lamprecht die Festrede hielt.
Am 17. März veranstaltete die erste Singeklasse unter Leitung des Gesanglehrers Herrn Langelütje eine Musikaufführung, wobei u. a. J. S. Bachs "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit", Goethes "Gesang der Geister über den Wassern" in der Musiksetzung von Heinrich Bellermann und Teile von Grells Tedeum mit voller Orchesterbegleitung zum Vortrag kamen. Dieselbe Aufführung wurde am Tage darauf zum Besten der deutschen Schule in Johannesburg (Süd-Afrika) wiederholt.
Am 21. März wurde durch eine Anzahl von Sekundanern das preussische Festspiel "Rossbach" vom Professor Hans Georg Meyer vor Schülern und Lehrern der Anstalt und ihren Angehörigen zur Aufführung gebracht.
2. Veränderungen im Lehrerkollegium
Am 25. Mai erlag der Schreiblehrer unserer Anstalt, Herr Julius Hiltmann, dessen Gesundheit schon seit mehreren Jahren erschüttert war, infolge einer Herzlähmung seinem schweren Leiden. Er hatte den Schreibunterricht am grauen Kloster seit neun Jahren mit Geschick und treuer Pflichterfüllung geleitet und sich durch sein stilles, freundliches Wesen und die Reinheit seines Charakters die Liebe der Schüler und die Achtung seiner Amtsgenossen erworben.
Der weitere Verlauf des Schuljahres brachte uns zwei schwere und schmerzliche Verluste innerhalb des Kollegiums der angestellten Lehrer. Am 22. Juni starb der Professor Dr. Heidemann, seit sechs Jahren der Senior unseres Kollegiums, 67 Jahre alt; und am 16. November wurde der Professor Dr. Geppert im 53. Jahre durch einen Schlaganfall ganz plötzlich dahingerafft. Die Worte, mit denen der unterzeichnete Direktor dem tiefen und allgemeinen Schmerz um das Hinscheiden der beiden vortrefflichen, um das graue Kloster hochverdienten Männer bei der Gedächtnisfeier am 24. August und am 30. November Ausdruck zu geben suchte, mögen hier eine Stelle finden [zwei lange Nachrufe]
In die nach Abgang des Professors Neubauer erledigte Oberlehrerstelle wurde zum 1. April 1901 Herr Zietzki, bisher wissenschaftlicher Hilfslehrer an unserer Anstalt, vom Magistrat gewählt. [Lebenslauf]
Seit Michaelis 1901 sind die Herren Rudolf Nerlich und Dr. Georg Richter als wissenschaftliche Hilfslehrer hier beschäftigt, ebenso Herr Willi Dahms, bis dahin Probandus, während zu derselben Zeit Herr Karl Wünn als Probandus an die Anstalt trat.
Die Schreibstunden des verstorbenen Herrn Hiltmann übernahm von Pfingsten 1901 an der städtische Lehrer Herr Ernst Voigt, der Unterricht des Professors Geppert wurde im November dem wissenschaftlichen Hilfslehrer Herrn Dr. Otto Voss übertragen.
In die nach dem Tode der Professoren Heidemann und Geppert frei gewordenen Oberlehrerstellen wurden vom Magistrat die Herren Kühne und Dr. Ullrich gewählt, und ebenso in zwei neu gegründete Oberlehrerstellen die Herren Professor Dr. Herchner und Dr. Kern. [4 Lebensläufe]
[Zum Schluss:]
... auch das Schulgeld für das nächste Vierteljahr mit 32,50 Mark zu entrichten.
Dr. Ludwig Bellermann.
Direktor.